Es ist allgemein bekannt: Auf die erste Verliebtheit folgt der Alltag. Und der Alltag folgt völlig anderen Gesetzen als die Verliebtheit. Der Himmel hängt nicht mehr voller Geigen; die Welt schimmert nicht mehr rosarot. Dinge haben ihren täglichen Ablauf und müssen getan werden. Und hier zeigen sich erste Unzufriedenheiten mit dem Verhalten und den Gewohnheiten des Partners/der Partnerin.

Erst als heimliches Murren, dann als leichtes Grollen, später vielleicht mit der Faust im Sack und irgendwann als Schimpfen oder offener Angriff: „Jetzt hast du schon wieder …!“ Wer kennt sie nicht, diese beziehungszerstörenden Sätze mit dem wütenden, vorwurfstriefenden und verletzenden Beiwerk: „Schon wieder“, “immer noch nicht“, „nie“, „jedes Mal“?

Aber muss es soweit kommen? Oder ist alles verloren, wenn es schon mal so weit ist?

Nein, überhaupt nicht. Wenn schwerere Konflikte den Alltag erst einmal soweit vergiftet haben, dass es zumindest einer der Partner nicht mehr aushält und bereit ist, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, dann sind die Muster manchmal sehr komplex. Dennoch ist es möglich, in verschiedenen Konfliktsituationen gewisse Grundmuster zu finden und diese auf ihre tieferen Ansprüche hin zu betrachten.

Es ist dann Zeit für ein Hinschauen, Bewusstwerden und Umstellen auf andere, neue und konstruktivere Verhaltensweisen.

Beispiel Frühstücksei  /  Beispiel Verspätung  /  Beratungsbedarf

Wenn Ihnen die Ehefrau zum 200. Mal ein zu hart gekochtes Frühstücksei serviert, werden Sie kaum mehr säuseln: „Schätzeli, ds Eili isch grad es bitzeli fescht worde.“ Dann tönt es vermutlich eher in diese Richtung: „Himmel nonemau, jitz hesch es scho wider versout, kapiersch es eigetlech nie?“ Formulieren Sie selber! Es fällt Ihnen sicherlich leicht, denn es gibt unzählige ähnliche und den Alltag belastende Beispiele.

Und wie geht es weiter? Das 201. Mal oder das 400. Mal abwarten? Oder innehalten und sich fragen, wie es zu dieser häufigen und ärgerlichen Alltagssituation kommt? Was könnte hier professionelle Hilfe bewirken? Professionelle Hilfe ist neutral, von der Situation nicht betroffen und sucht mit beiden Parteien nach einer einvernehmlichen Lösung.

Einvernehmliche Lösungen könnten beispielsweise so aussehen:

• Der Mann kocht 2-4 Wochen lang sein Frühstücksei selber
  und übernimmt gleichzeitig alle weiteren Aufgaben seiner Frau während des Eierkochens.
• Die beiden kaufen einen Eierkocher oder eine Eieruhr.
• Der Mann verzichtet auf sein Frühstücksei  und isst stattdessen ein Frühstücksmüesli.
• Die Frau steht 5 Min. früher auf, um genügend Zeit zu haben für das Frühstücksei.
• Der Mann steht 5 Min. früher auf, um sein Frühstücksei nach seinem Geschmack selber zuzubereiten.
• Die beiden tauschen für eine gewisse Zeit ihre Rollen:
  Der Mann serviert seiner Frau ein Frühstücksei, und die Frau liest derweil die Zeitung.

Es ist Ihrer Fantasie überlassen herauszufinden, welche Entlastung solche Lösungen für die Konfliktsituation bedeuten mögen. Wichtigste Voraussetzung ist nur, dass sich beide Parteien auf eine bestimmte Lösung einlassen wollen. Beide müssen bereit sein, Vereinbarungen während einer bestimmten Zeit gewissenhaft  durchzuziehen. So können sie wertvolle neue Erfahrungen machen und normalerweise auch das Verständnis für die Gegenseite verbessern.

Natürlich ist das Frühstücksei  ein harmloses Konfliktbeispiel. Es zeigt aber, wie es die Beziehung belasten kann, und es zeigt ein Muster auf, wie beide Partner miteinander umgehen.

Hinter dem Ärger über das missratene Frühstücksei mag vielleicht noch etwas ganz Anderes stecken. Vielleicht leidet der Mann darunter, dass die Frau ihm zu wenig Aufmerksamkeit schenkt und nur noch für die Kinder da ist. Wenn er aber selber einmal die Aufgabe übernimmt, die Kinder am Morgen für die Schule, den Kindergarten oder die Kita fit zu machen, wird er merken, dass unter dem Zeitzwang und den unterschiedlichsten Ansprüchen der Kinder das Frühstücksei zweitrangig wird. Oder die Frau mag sich insgeheim darüber ärgern, dass ihr Mann ihr die ganze Arbeit überlässt und derweil die Zeitung liest. Und so revanchiert sie sich unbewusst, indem sie ihm das Frühstücksei immer mal wieder zu hart kocht. Alleine das Bewusstmachen der verborgenen Ansprüche und Erwartungen kann schon sehr viel bewirken und Lösungswege aufzeigen.

Beispiel Frühstücksei  /  Beispiel Verspätung  /  Beratungsbedarf

Sie ärgern sich darüber, dass Ihr Partner/Ihre Partnerin regelmässig zu spät an vereinbarte Termine kommt.

Mögliche dahinter liegende Interessen:

• Ich mag nicht auf den Partner/die Partnerin warten und mich langweilen.
• Ich mag kein kaltes oder verkrustetes Essen.
• Ich mag mich nicht vor Freunden, Bekannten oder ArbeitskollegInnen blamieren.
• Ich mag nicht unter den Augen der Anwesenden zu spät unseren Platz suchen
  und den Anfang einer Vorstellung verpassen.
  Und viele andere mehr.

Und die Lösungen? Je nach vorherrschendem Interesse sehen Lösungsmöglichkeiten sehr verschieden aus.

Wenn Sie nicht auf den Partner/die Partnerin warten mögen, suchen auch Sie den Ort der gemeinsamen Verabredung verspätet auf, dann müssen Sie nicht warten. Oder Sie vereinbaren eine maximale Wartezeit (5 Min., 10 Min., 1 Viertelstunde) und verkürzen sich die Wartezeit am Handy oder mit Lesen. Wird die maximale Wartezeit nicht eingehalten, verlassen Sie den Ort und unternehmen etwas Anderes, so schmerzhaft dies beim 1. Mal auch sein mag. Es wird danach vielleicht gar kein 2. Mal geben, weil Ihr Partner/Ihre Partnerin sich mit Ihnen treffen möchte und den Abend nicht alleine verbringen oder die Veranstaltung alleine besuchen mag.

Wenn Sie sich bei Freunden nicht durch Verspätung blamieren möchten, geben Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin einen entsprechend früheren Zeitpunkt an oder gehen Sie notfalls alleine früher hin, so dass die Verspätung nur Ihren Partner/Ihre Partnerin betrifft und Sie die Blamage nicht für ihn/für sie zu übernehmen brauchen. Sie sehen, Sie haben die Möglichkeit, sich auf die Schwäche Ihres Partners /Ihrer Partnerin einzulassen und sich vor den für Sie negativen Folgen zu schützen.  Oder aber Sie setzen Ihre eigenen Interessen mit mehr Nachdruck durch. Normalerweise entstehen chronische Konflikte dort, wo Schwächen des oder der andern hingenommen und die Faust im Sack gemacht wird, zumeist verbunden mit Groll, Vorwürfen, Schmollen und so weiter. Lösungen können aber auch ganz anders aussehen. Die Suche nach dahinter liegenden Interessen kann ergeben, dass der Partner/ die Partnerin immer dann beson­ders viel zu spät kommt, wenn ihm/ihr nichts an der Verabredung liegt und er/sie lieber etwas Anderes unternehmen würde. In diesem Fall ist es sinnvoll herauszufinden, welche Verabredungen Sie vielleicht besser mit einer Freundin/einem Freund besuchen statt mit Ihrem Partner/ Ihrer Partnerin.